Noch ist es nicht so weit. Doch in ein paar wenigen Monaten – und Silvia Krieglsteiner kann es kaum erwarten. Drunten im Tal lassen sie die Gedanken an ihre Nassereither Alm im Gurgltal im Tiroler Oberland nicht los. „Ich dawart‘ es nicht mehr wieder hinaufzugehen. Es ist so schön“, erzählt Krieglsteiner, aufgewachsen in Hatting, im breiten Inntaler Dialekt.
An Hüttenputz und Knödelproduktion – „Kaspress-, Brennnessel- und Speckknödel“ – denkt sie schon. Für die 62-jährige, spätberufene Almerin wird es heuer zusammen mit ihrem Mann Josef der achte Almsommer sein. Ab 15. Mai kommen die rund 150 Weiderinder, darunter Galtvieh, Mutterkühe, Ochsen, Melkkühe sowie Hühner und Schweine, auf die Voralpe, ab 15. Juni dann auf die Hauptalp, wie es im Tiroler Oberland und Vorarlberg heißt. Im Sommer wird das Vieh gehütet, werden Butter und Graukäse erzeugt und Gäste mit viel Selbstgekochtem und lockerem Schmäh bewirtet. Der ist auch nötig, um im doch manchmal noch rauen Klima der Berge und Männer zu bestehen.
„Ich bin immer lustig, nicht auf den Mund gefallen – und das gefällt gerade vielen Mandern hier. Wenn ich mal nichts sage, heißt es gleich, bist krank? Einen Almer nehm‘ ich mir schon mal zur Brust. Die Burschen hab‘ ich im Griff“, witzelt Krieglsteiner am Telefon – und doch steckt viel Wahrheit dahinter. Wenn es ein Problem gäbe, würde sie es als Frau oft direkter ansprechen können. „Von Frauen daleiden sie es anders“, erklärt die 62-jährige Almerin. Nach den besonderen Stärken von Frauen gefragt, folgt die Antwort prompt: „Sie denken mehr wie die Manderleit und haben mehr Gefühl.“
Nichtsdestotrotz sind die Rollen bei Silvia und Josef Krieglsteiner traditionell verteilt: Sie ist für Hütte, Kochen und Bewirtung zuständig, er für das Vieh und Milchverarbeitung. „Aber nicht nur“, betont die Tirolerin. „Einmal im Sommer bin ich beim Abtreiben mit den Viechern bis nach Biberwier hinübergegangen, und alleine im Steilen unterwegs gewesen. Alle haben nur so geschaut, auch die Manderleit.“ Ein Arbeitstausch ist Krieglsteiner da sofort in den Sinn gekommen. „Ich habe zu Josef gesagt, heuer geh‘ ich zu den Viechern und du in die Küche. Aber da hat er nicht gezogen.“ Zufrieden ist Krieglsteiner auf ihrer Alm auch so.
„Dort droben ist es eine eigene Welt, weg vom Trubel und Trouble. Man lebt anders, ist zufriedener, glücklicher und auch selbständiger“, sagt sie. Die Quereinsteigerin kann sich ein Leben ohne Alm nicht mehr vorstellen. Dabei arbeitete sie zuvor als Friseurin und Buslenkerin. Nach anfänglichen Zweifeln wurden sie und ihr Mann Josef in Nassereith und darüber hinaus jedoch schnell akzeptiert. Es werde ihnen viel Wertschätzung entgegengebracht. Es sei ein gegenseitiges Miteinander, berichtet die 62-Jährige. „Wir leben den ganzen Sommer, sechs Monate auf der Alm. Leute sind sofort da und helfen. Manche Landwirte bringen von unten Schnittlauch, Kürbis, Zwetschken oder Äpfel herauf. Wir werden sehr geschätzt.“ Den starken Zusammenhalt spürte sie auch bei einem herben Schicksalsschlag.
Herzinfarkt, Schlaganfall und eine anschließende halbseitige Lähmung hätten ihr vor fünf Jahren das Leben und Arbeiten auf der Alm fast unmöglich gemacht, wäre da nicht die Frohnatur, der starke Willen der Tirolerin und die Mithilfe der Gäste gewesen. Alm und Arbeit hätten ihr bei der Genesung auch besonders geholfen. „So wie der Tag kommt, so nehme ich es an. So wie es läuft, gilt es das Beste daraus zu machen“, ist seit jeher das Motto von Silvia Krieglsteiner – und Zufriedenheit ihr Credo. Das möchte sie auch jungen Frauen mitgeben, die es ihr gleichtun wollen.
„Sie brauchen nicht mutig sein. Zufrieden sein und nicht die Arbeit sehen. Dankbar sein. Das Almleben und Arbeiten mögen und wollen, dann kommt alles von selbst“, rät die leidenschaftliche Almerin und hat noch einen Tipp parat. Zu dem stehen, wie es nun mal eben ist, „damit kommst am Weitesten.“ Und dieser ehrliche Weg führt Silvia Krieglsteiner jeden Sommer aufs Neue hinauf auf ihre Nassereither Alm.
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