In einem ersten Beitrag zu den Tiroler Herdenschutzprojekten war ich nach Auswertung der Anforderungen an das Hirtenleben zum Schluss gekommen, dass es mit der von bestimmten Kreisen herbeiphantasierten „Renaissance des Hirtenberufes“ wohl eher nichts werden wird. Zu hart, zu selektiv und für den gigantischen Leistungsumfang definitiv unterbezahlt. Ein Job für echte Idealisten und ins Almleben Vernarrte. Die waren und sind zu allen Zeiten dünn gesät.
Der zweite Beitrag hatte mit dem Blick auf die erheblichen Kollateralschäden und auf die damit ursächlich zusammenhängenden Schwierigkeiten beim Einsatz der vierbeinigen Helfer (Hüte- und Herdenschutzhunde) schon die Frage nach der Kosten-Nutzen-Wahrheit eingeleitet. Und genau dieser Frage will ich in diesem letzten Beitrag zu den Herdenschutzprojekten noch weiter nachgehen.
Schafe auf der Alm zu sömmern zahlt sich rein ökonomisch, für die Schafbesitzer nicht aus…
… oder wie es im Projektbericht über die Verwall Alpe lapidar heißt:
„Die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit zeigt, dass eine rein auf almwirtschaftliche Erlöse (Förderungen, Weidezins etc.) angewiesene Schafalpung bereits im Referenzjahr 2020 keinen Gewinn erzielte, sondern durch Idealismus (…) getragen war.“
„Durch Idealismus getragen“ also. „Schon im Referenzjahr 2020“, vor dem Projektzeitraum. Das trifft wohl für das Gros der Schafhaltung im Alpenraum zu. Schafe zu halten macht ihre Besitzer ebenso wenig reich wie die im Sommer engagierten Hirten und Hirtinnen, so könnte man es salopp formulieren. Das ganze „System“ beruht tatsächlich ganz wesentlich auf Idealismus oder auf dem „Spaß an der Freud“, wie der Volksmund sagen würde. Schafe zu halten, ist ein sehr ernsthaft und gewissenhaft betriebenes Hobby für die meisten Schafbesitzer hierzulande und eben (kaum) ein Geschäft. Das gilt wie im obigen Zitat beschrieben schon ganz ohne Differenzialkosten, die durch zusätzlichen Herdenschutz entstehen. Kommen diese dazu, wird das Alpen von Schafen über den Sommer sofort zur ökonomischen Absurdität.
14 Prozent…
Ich zitiere wiederum aus einem der Projektberichte (Lader Heuberg):
„Die Anstellung der Hirt:innen (rund 70 % Anteil an Gesamtkosten) sowie die Kosten für das zaunbasierte System (rund 10 % Anteil an Gesamtkosten) sind unverzichtbar für die gelenkte Weideführung mit Herdenschutz, wie sie derzeit auf der Lader Heuberg-Alm umgesetzt wird. Die öffentlichen Förderungen im ÖPUL 2023 können die Gesamtkosten nur zu 14 % abdecken. Demgemäß wäre diese Form der Schafalpung für die Almverantwortlichen, mit den derzeit regulären almwirtschaftlichen Erlösen, nicht finanzierbar.“
14 Prozent Kostendeckung bei der derzeitigen Förderung durch die öffentliche Hand. Die Kosten für die 5-jährige Laufzeit trägt das Land Tirol. Und danach? Die Schafhalter werden’s nicht bezahlen können. Die Hirten, die den größten Anteil am Kostenkuchen ausmachen, werden nicht umsonst dort arbeiten. Es ist ja nicht gerade so, dass die sich sozusagen eine goldene Nase verdient hätten, während sie in der Sonne liegend an einem Grashalm kauend ihren Schäflein beim Grasen zugeschaut hätten. Ganz im Gegenteil! Das ist harte Arbeit und angesichts der enormen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten alles andere als überbezahlt.
Wer wird, wer soll also diesen Herdenschutz bezahlen, den die am Projekt mitbeteiligte renommierte Grünland-Forschungsinstitution Raumberg-Gumpenstein für eine österreichweite Ausrollung auf ca. 21 Millionen Euro schätzt? 21 Millionen für Personal und Infrastruktur pro Jahr. In einem Szenario übrigens, das mit den jetzigen Strukturen der Schafalpung überhaupt nicht vereinbar ist. Derzeit grasen nämlich österreichweit Schafe auf mehr als 800 alpinen Standweiden. Großteils in sehr kleinen Herdenverbänden. Diese müssten in Großherden zusammengelegt werden. So könnten jeweils 500 bis 700 Schafen dann auf 200 Almen aufgetrieben werden, wobei je zwei Hirten die Aufsicht hätten. So stellen sich das die am Projekt beteiligten Experten aus Raumberg-Gumpenstein vor.
Zusammengefasste Erkenntnisse
- Herdenschutz, wie er in den Tiroler Projektalmen praktiziert wird, braucht große Herdenverbände. Die haben wir zurzeit in vielen Regionen nicht. Das heißt: Szenarien, die ein bundesweites Ausrollen vorsehen, sind nur unter der Voraussetzung überhaupt denkbar, dass bestehende Strukturen zerstört und neu geformt werden.
- Die zentralen Figuren in allen Herdenschutz-Spielarten sind der Hirte und die Hirtin. Von diesen gibt es jedenfalls bei Weitem nicht genug. Ein Mangel an qualifiziertem Almpersonal ist schon auf den ungleich lukrativeren Kuh- und Sennalmen ein zunehmendes Problem. Der Hirtenberuf ist und bleibt eine Berufung für Wenige.
- Ob Herdenschutz unsere Herden tatsächlich vor Raubtieren schützt, muss dahingestellt bleiben. Und schon gar unter der absolut erwartbaren Annahme, dass der Großraubtier-Druck zunehmen wird.
- Der Einsatz von Hütehunden im Sinne einer kompakten Herdenführung zeigt sich als zumindest bei den jetzt einmal gegebenen Voraussetzungen als teilweise fragwürdig bis offen kontraproduktiv.
- Herdenschutzhunde bleiben ein komplett offenes Fragezeichen, da sie bisher kaum zum Einsatz gekommen sind. Bei gesteigertem Großraubtierdruck, so zeigen alle Erfahrungen aus dem Ausland, wäre der massive Einsatz von Herdenschutzhunden zusätzlich zu Behirtung und Nachtpferch alternativlos. Nicht nur die zusätzlichen Kosten für Herdenschutzhunde, sondern eine ganze Reihe von anderen „Herausforderungen“ kämen dann noch dazu.
- Und zuletzt und zugleich zuerst: Schon ein kurzer Blick auf die ökonomischen Kennziffern zeigt: Die Kosten-Nutzen-Relation der Herdenschutzprojekte bei den gegebenen Strukturen erscheint absolut fragwürdig.
Quelle: Herdenschutz-Projekt Lader Heuberg-Alm 2023
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