Die Alm be-wegt. Im Wort- und im übertragenen Sinn. Ein ganzes Wegenetz erstreckt sich seit Generationen zwischen den Tallagen und den alpinen Höhen. Das verbindet. Ganz nüchtern und materiell gedacht durch die Straßen, die Tal und Berg verbinden. Aber genauso wichtig ist die immaterielle, geistige Verbindung, die von der Alpe ausgeht, diesem „Seelenschutzgebiet“.
Die Alm weckt tiefwohnende Bilder und Sehnsüchte in den Seelen ganz vieler Menschen, die ansonsten mit der Landwirtschaft wenig bis gar nichts am Hut haben. Geheimnisvolles, Romantisches kommt der Seele in den Sinn, beim Klang des Wortes Alm. Einmal oben angelangt in der Höhe und Almluft geschnuppert, atmet sich’s freier. Freiheit in ihren unterschiedlichsten Formen dürfte es sein, was die Seele auf der Alm immer schon gesucht und gefunden hat.
Der stressgeplagte Stadtmensch kann seine Seele baumeln lassen, wenn er für einmal den engen Straßenfluchten entflieht und sich im Almgebiet wie in einer schön und einladend, quasi für ihn hergerichteten „Natur“ wiederfindet. Wenn er Wege benutzen kann, wenn er in dieser kultivierten Natur Orientierungspunkte vorfindet, wenn sein Auge sich an der abwechslungsreichen Landschaft erfreut, dann kann die Seele Teil haben am berühmten Almfrieden. Sucht sie hingegen noch in der Freizeit die Herausforderung und will sich der vom vielen Sitzen steif gewordene Körper einmal so richtig austoben, dann stehen auf der Alm vom gemütlichen Wandern bis zum scharfen Bergsteigen alle Möglichkeiten offen.
Das sind die Freiheiten, die den Alm-Besucher auf der Alm erwarten, die sie diesem anbietet. Wie schaut das für jene aus, deren harte Arbeit seit Jahrhunderten erst die Voraussetzung dafür schafft, dass die Alm ihre Arme öffnet für die Sehnsüchte der Talbewohner? Wie steht es um die Freiheiten der Älpler, der Melker, Sennerinnen, Hirten? Was sucht deren Seele auf der Alm? In früheren Zeiten der vom Hofbesitzer diktierten und streng kontrollierten Sittenmoral, drückte sich die Freiheit, die Knechte und Mägde auf der Alm genossen, nicht zuletzt im berühmten Spruch aus: „Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd!“ Diese Freiheit ist heutzutage nicht länger an die Alm gebunden, Knechte und Mägde als Berufstitel sind gottseidank Vergangenheit, der moderne Bauer, die Bäuerin missverstehen sich nicht länger als Wächter der Moral. Fragt man heute Älpler, warum sie ihre Sommer der Alm „opfern“, was sie raufzieht oft ein Leben lang auf die Alm, dann ist es dennoch eine Art Freiheit, die nur auf der Alm zu haben ist, die den vielen vergossenen Schweiß, die ständige Sorge ums Vieh, das Ausgeliefertsein an Wetter und Naturkatastrophen lohnt. Welcher Art Freiheit das sei – auf diese Frage wissen Älpler nicht recht zu antworten. Keine, die groß Worte braucht, keine die sich leichtfertig jedem mitteilen ließe. Wer sie erfahren will, so sagen die Älpler und lächeln wissend dabei, der muss schon einer von uns werden…
Und noch eine Art Freiheit hat sich die Alm zäh erhalten. Die Freiheit vom rein ökonomischen Zwang, dem so gut wie jede andere Wirtschaftsform knallhart unterworfen ist. Die Erhaltung der Almwirtschaft kostet die Allgemeinheit eine schöne Stange Geld. Ohne dieses öffentliche Geld, das sozusagen vom Tal aus in die Höhe investiert wird, gebe es keine Almen mehr. Wer aus diesem Gesichtspunkt die Alm nur nach ihren ökonomischen Kennziffern beurteilt und es damit auch schon gut sein lässt, der ist eher schlecht beraten. Er vergeht sich an ihr schon im Ansatz. Geht schnurstracks an ihr vorbei. Wird nie „dort oben“ ankommen. Nie wird er ihrem Zauber erliegen, nie von diesem sich zu Gedanken verführen lassen, die dem kühl rechnendem Verstand für einmal entkommen, dem kurzsichtigen Kosten-Nutzen-Rechnen ein Schnippchen schlagen und sich gerade deshalb auszahlen! Auch das gefällt der Seele, denn diese ist keine kühle Rechnerin, sondern hat ihre eigene Buchführung.