Der Soziologe und Professor für Agrar- und Regionalsoziologie Markus Schermer war bis zu seiner Pensionierung im Oktober 2022 stellvertretender Leiter vom interdisziplinären Forschungszentrum Berglandwirtschaft des Forschungsschwerpunktes „Alpiner Raum“ der Leopold Franzens Universität Innsbruck.
Welche Bereiche umfasst das Forschungszentrum Berglandwirtschaft?
Markus Schermer: Wir versuchen mit unserem virtuellen Forschungszentrum Forscherinnen aus verschiedensten Disziplinen der Uni Innsbruck, die sich mit landwirtschaftlichen Themen beschäftigen, zusammen zu bringen, zu vernetzen bzw. Forscherinnen zu motivieren in landwirtschaftlichen Bereichen zu forschen.
Wir haben einen jährlichen ,call for projects‘: Hier können junge Wissenschaftlerinnen verschiedenste Projekte zu landwirtschaftlicher Forschung einreichen, die bei entsprechender Auswahl gefördert werden. Großteils kommen die Projekteinreichungen vor allem aus den Bereichen Ökologie und Biologie. Es werden aber nicht nur Forschungen aus den Naturwissenschaften gefördert, sondern auch agrarsoziologische Projekte oder historische Analysen. Eine erfolgreiche Kooperation hat zum Beispiel zwischen Ökologinnen, Soziologinnen, Historikerinnen stattgefunden und zum Projekt ,Wir Landschaftmacher. Vom Sein und Werden der Kulturlandschaft in Nord-, Ost- und Südtirol‘ geführt.
Neben der Projektförderungen betreiben wir gemeinsam mit dem Landwirtschaftlichen Versuchswesen des Landes Tirol, der Landwirtschaftlichen Lehranstalt und der Tiroler Genbank den Forschungsbauernhof Imst. Längerfristig können hier Forschungen, Experimente und Versuche vorangetrieben werden, um z.B. Nützlinge/Schädlinge, Saatgut, landwirtschaftliche Nutzpflanzen (aktuell z.B. Hanfanbau) uvm. zu untersuchen.
Sehen Sie einen Bedarf Forschung bzgl. Almwirtschaft zu fördern – und warum?
Markus Schermer: Das Problem ist, dass die Almen von verschiedener Seite unter Druck kommen. Der Wolf ist momentan das Thema. Aber es gibt viele weitere Herausforderungen, wie etwa Arbeitskräftemangel oder Klimawandel. Das sind schleichende Prozesse, die dazu führen, dass sich die Bewirtschaftung der Almen in Zukunft dramatisch ändern wird. Das wäre in der Forschung noch stärker zu bearbeiten. Wie könnte eine zukunftsfähige Almwirtschaft aussehen – unter den Bedingungen Klimawandel, Trockenheit, Bewaldung, Beutegreifer, Arbeitskräftemangel usw.? Wie kann man technologische Entwicklungen für die Almwirtschaft nutzen? Wie wirken sich Änderungen der Bewirtschaftung aus? Welche Form der Bewirtschaftung sind zukunftsträchtig und nachhaltig – und was ist möglich?
Man darf die Alm nicht isoliert sehen. Veränderungen unten wirken sich auch oben aus. Im Tal kommt es zunehmend aus ökonomischen Zwängen zur Intensivierung der Landwirtschaft. Das hat oft zur Folge, dass Almen aufgelassen werden. Damit geht wichtige Kulturlandschaft verloren.
In Westösterreich haben wir in der Landwirtschaft eine Betriebsentwicklungsstrategie, die in Richtung Diversifizierung geht, während es in Ostösterreich viel stärker in Richtung Intensivierung geht. Ökonomische Zwänge unterstützen diese Wachstums- und Intensivierungstendenzen. D.h. die Wirtschaftsformen, die auf Diversifizierung ausgerichtet waren, und darunter fällt die Almwirtschaft, kommen meiner Meinung nach zunehmend unter Druck, zusätzlich zu den Themen rund um Beutegreifer und Klimawandel. Damit ist die Bewirtschaftung der Almen gefordert und in einer prekären Situation.
Die Almen haben touristische, gesundheitliche, landwirtschaftliche, ökologische Bedeutungen. Es gibt hier einige Punkte, die erforschensbar wären und meiner Meinung nach teilweise noch zu wenig gesehen werden.
Das Verhältnis von Natur und Mensch und deren Nähe zueinander haben sich in den letzten Jahren durch verschiedene Prozesse, durch Strukturwandel, geändertes Konsumverhalten, Erwerbstätigkeit, Vermischung von Kultur- und Naturlandschaft, veränderte Vorstellungen von Wildnis, verändert. Junge Menschen sind oft weiter weg von landwirtschaftlichen Bezugspunkten als es die ältere Generation war.
Vielen Dank für das Gespräch!
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