Von der Alm zum Großbauern und in die Wirren des Zweiten Weltkrieges

…in seinem neuen Film „Der Fuchs“ erzählt der Salzburger Regisseur Adrian Goiginger die Geschichte seines Urgroßvaters, die auf einer Alm im Pinzgau beginnt. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, liegen die ärmlichen Verhältnisse am Berg, die Weggabe zu einem Großbauern im Tal, die Zwischenkriegsjahre und Kriegswirren nicht einmal 100 Jahre zurück, betont Goiginger im Interview.

Es ist keine Almidylle, die der Salzburger Regisseur Adrian Goiginger („Die beste aller Welten“, „Märzengrund“) in seinem neuen Film „Der Fuchs“ zu Beginn zeigt: die Wiesen zwar satt grün und der Horizont scheinbar unendlich weit. Doch Franz, der kleine Junge, stapft barfuß zu seiner sorgenerfüllten Mutter. Voll Stolz zeigt er die paar Handvoll Erdäpfel, die er aus dem Tal erbettelt hat. Vor der kleinen Almhütte tut sich ein weites Bergpanorama auf. Im Innern ist es umso beengter und dunkel von der Rauchkuchl und den kleinen Fenstern. Am Tisch sitzen wenig später zusammengekauert die Eltern und ihre vielen Kinder. Die Kartoffel reichen nicht. Der Jüngste bekommt von seinem Beutezug nur ein ganz kleines Stück. Der Hunger ist groß, die Verzweiflung ebenso. 

Goiginger (32) hat in seinem neuen Kinofilm „Der Fuchs“ die Geschichte seines Urgroßvaters nachgezeichnet: Franz Streitberger wächst auf einer Alm im Pinzgau (alte Saulehen in Piesendorf) in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater kann ihn nicht ernähren und gibt ihn 1927 in die Obhut eines Salzburger Großbauern. Ein traumatisches Erlebnis für den Buben, das ihn sein Leben lang prägen sollte. Nach 10 Jahren der Knechtschaft entscheidet sich der introvertierte, verschlossene Junge sich mit seiner Volljährigkeit vom Bauern zu lösen und als Bundesheersoldat zu verpflichten. Mit dem Anschluss wird er in die Wehrmacht eingegliedert. Während seines Einsatzes im Zweiten Weltkrieg als Motorradkurier in Frankreich findet der junge Streitberger einen verwaisten, verletzten Fuchswelpen. Heimlich zieht er ihn auf und nimmt ihn ein Jahr mit in die Kriegswirren. Der kleine Fuchs wird zu seinem engsten Vertrauten – und zu einem Symbol für das eigene erlittene Trauma der Kindheit.

2008 hatte Goiginger als 17-Jähriger begonnen die Erlebnisse seines Urgroßvaters mit einem Diktiergerät aufzuzeichnen. So noch nicht gekannte Emotionen seien vom Senior hochgekommen. Dessen Geschichte und die stille Verzweiflung der damaligen Zeit, mit der in vielen Familien tagtäglich gekämpft wurde, hat der 32-jährige Regisseur mit Feingefühl und haben die Schauspieler (u.a. Kinderdarsteller Maximilian Reinwald, Simon Morzé und Karl Markovics) mit wohlgesetzten Emotionen in beeindruckenden Szenen festgehalten.

Über die Dreharbeiten auf einer Alm in Großarl

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Hat ihr Urgroßvater viel vom Leben auf der Alm erzählt?
Adrian Goiginger: Mein Urgroßvater hat mir einzelne Anekdoten aus seiner Kindheit erzählt, aber nicht in Bezug auf die Alm. Eine seiner frühesten Erinnerung war als er vom Großbauern im Tal zu Weihnachten Socken geschenkt bekommen und mit acht Jahren das erste Mal Socken angehabt hat. Was ich über seine Kindheit und den Hof weiß, habe ich durch viele Gespräche in der Familie erfahren. Ich habe im Zuge des Films auch viel recherchiert.

Wie hat sich die schwere Kindheit und Weggabe auf Ihren Urgroßvater ausgewirkt?
Adrian Goiginger: Er war introvertiert, eher misstrauisch und nicht sehr gesellig. Tieren war er viel eher zugeneigt als Menschen. Das war aber bestimmt nicht nur mein Uropa, sondern die gesamte Generation. Am Land in den 1910er und 1920er Jahren wurde nicht viel geredet. Dazu passt auch ein Zitat, das ich in einem Buch über Knechte und Mägde gelesen habe: „viel reden geht ohne Sünd‘ nicht ab“, will heißen, wer viel redet, der sündigt. Mein Urgroßvater hat ganz Schlimmes in seiner Kindheit erlebt und später auch im Krieg, das waren Traumata, die dann im Stillen weitergetragen wurden.

Der Trailer zum Film

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Wie haben Sie zum Film recherchiert?
Adrian Goiginger: Ich habe viele Bücher aus verschiedenen Regionen gelesen. Dabei ist mir aufgefallen, dass egal, welche Region, im österreichischen Alpenraum verschwimmen die Grenzen. Überall findest du dieselben Probleme, dieselben strengen hierarchischen Strukturen, die Härte und Ausweglosigkeit, in der sich viele befunden haben, sei das im Pinzgau, im Zillertal oder in anderen Tälern. Ich habe auch viel mit Zeitzeugen geredet, um mich nicht nur auf die Erzählungen von meinem Uropa zu stützen. Das ergab ein weites Spektrum, das aber zusammengepasst hat. Im Zuge des Films sind Menschen auf mich zugekommen und haben mir berichtet, dass es in ihrer Familie ganz ähnliche Schicksale gegeben hat.

Sie haben das harte Leben auf der Alm eindrucksvoll bebildert. Wie denken Sie über den harten Alltag dort oben von damals?
Adrian Goiginger: Ich bin froh, dass ich nicht in der damaligen Zeit gelebt habe. Es war eine unfassbar harte Zeit, voller Entbehrungen. Nicht nur, was den Lebensraum und das Essen betroffen hat sehr fordernd, sondern auch emotional. Es ist so ganz anders, wie wir heute leben. Als wäre es ein anderes Zeitalter. Das hat mich schon schockiert, vor allem, weil es erst 80-90 Jahre her ist.
Ich sehe es auch als Auftrag, mit dem Film andere Seiten zu zeigen: Ich finde es wichtig, die Bilder ins Bewusstsein zu rufen. Die Zeit reflektierter und vielschichtiger zu betrachten, hilft sie besser zu verstehen. Meine Generation weiß überhaupt nicht mehr wie es damals war. Ich habe viele Filmvorführungen in Schulen gemacht und die Schüler waren verdutzt, welche Zustände es damals gegeben hat. Sie meinten, es wären Einzelschicksale gewesen, doch dieses Elend und die Not passierte ganz vielen. Die Weggabe von Kindern war damals Gang und Gäbe. Viele haben sich im Zuge des Films gemeldet und berichtet. Wenn du nicht weißt, was du den Kindern zum Essen geben sollst, verzweifelst du.

Was hat Sie bei der Recherche zur Alm und zu passenden Drehorten bewegt?
Adrian Goiginger: Erstens hat mich fasziniert, dass diese Orte, die jetzt die reichsten von Österreich sind, wie Großarl, Saalfelden, auch das Zillertal, damals die ärmsten waren. Es ist arg wie schnell sie sich gewandelt haben.
Im Pinzgau, wo mein Urgroßvater aufgewachsen ist, sind wir bei der Suche nach einer passenden Alm nicht fündig geworden. Zuerst hatten wir in Tirol und Südtirol gesucht, aber auch nichts gefunden. Dann sind wir in Großarl fündig geworden. Die meisten Almbesitzer sind stolz, dass sie die Almen renovieren. Doch wenn du einen neuen Film mit historischem Inhalt drehst, ist genau das das Problem.
Was mir bei der Recherche noch aufgefallen ist: Es war eine Zeit, in der damals nur gearbeitet worden ist. Das Leben hat nur aus Arbeit bestanden. Deshalb wollte ich auch die Sage über den Tod und den Bauern im Film einbauen. Es ist eine reale Sage, die Leute wollten nicht ewig leben, damals war das Leben so hart, die wollten keine hundert Jahre werden, die waren froh, wenn der Kampf mit 60 vorbei war.

Ist die Alm noch immer ein starkes Gegenbild zum Leben im Tal? Prallen da Welten aufeinander?
Adrian Goiginger: Das würde ich schon sagen. Es ist auch eine ganz andere Tagesstruktur. Du bist der Natur, dem Wetter und Vieh ausgesetzt. Und dann ist es auch schön. Alles hat seine Vor- und Nachteile.

Im Film wird diese Sehnsucht nach dort oben, nach der Alm spürbar. Wie denken Sie darüber?
Adrian Goiginger: Ich bin viel mit Leuten aus der Stadt zusammen und wenn sie auf den Berg kommen, fühlen sie sich wie neu geboren. Sie denken sich, warum bin ich in der Stadt, wo es dort droben so viel schöner ist. Doch nach drei Tagen ist es ihnen zu viel. Sie brauchen die Stadt und deren Annehmlichkeiten. Dort oben gibt es schon viele Einschränkungen. Doch ich denke, der Almurlaub hat in den letzten Jahren geboomt, und so wird es weitergehen.

Immer mehr Almen werden aufgelassen. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Adrian Goiginger: Ich finde das Auflassen der Höfe sehr schlimm. Bei einer Tour für die Drehortsuche haben wir über einen Suizid eines Bauern erfahren. Die Suizidrate in der Landwirtschaft ist ein großes Thema, diese Perspektivenlosigkeit, die hohen Schulden, keinen Erben finden. Das macht betroffen.

Als Konsument hoffe ich, dass ich auch in Zukunft die Wahl haben kann, Fleisch und Milch vom echten Almbauern kaufen zu können und nicht aus importierter Massenhaltung. Das ist mir wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch!

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