Mit viel Herzblut und Leidenschaft widmet sich Helga Hager, die 60-jährige Tirolerin, dem Erhalt der Almwirtschaft und ihren Tauernschecken – eine besonders einfühlsame Ziegenart. Helgas Alm, wie die Almhütte Peters Kaser im hinteren Valsertal heißt, ist Teil der Almgemeinschaft Nockeralm und gehört zum Bergsteigerdorf St. Jodok, Schmirn und Valsertal. Helga Hager führt die Alm im Ein-Frau-Betrieb. Mit der Unterstützung von freiwilligen Helferinnen und Teilnehmern der „Schule der Alm“ trägt sie zur Bewirtschaftung von Bergmähdern bei. Über Herausforderungen, Vorurteile und dem ein oder anderen Vorteil des Frau-Seins auf der Alm erzählt die gebürtige Valserin im Interview.
Sie sind Sennerin, Bergwanderführerin und Diplom Sommelière – warum hat es Sie auf die Alm verschlagen?
Helga Hager: Grundsätzlich prägt die eigene Kindheit jeden Menschen und mein Großvater Peter‘s Seppl war mein großes Vorbild. Von ihm habe ich alles rund um das Arbeiten auf der Alm gelernt. Obwohl ich mit 22 Jahren in die Gastronomie ging und 1991 als eine der ersten Frauen den Abschluss als Diplom Sommelière absolvierte, lies mich die Alm nie los. So kam es, dass ich 2010 den Entschluss fasste, die Alm wieder im Sinne meines Großvaters zu bewirtschaften. Mit diversen Ausbildungen wie z.B. zur Tiroler Bergwanderführerin und Almführerin bereitete ich mich auf mein Vorhaben vor. Schlussendlich hat es mich 2011 mit 5 „Goaßla“ (Ziegen) auf die Alm gezogen. Daraufhin musste ich bald feststellen, dass ich alleine an meine finanziellen und körperlichen Grenzen stoße. Durch Zufall wurde der Journalist Werner Kräutler auf meine Alm und mich aufmerksam. Gemeinsam initiierten wir das Projekt „Schule der Alm“. Ziel dieses Projektes ist es, Helfer und Helferinnen für die Alm zu gewinnen, um Bergmähder und Almen im Valsertal zu erhalten. Mit speziellen, einzigartigen Kursen wollen wir ihnen die Wichtigkeit der Erhaltung unserer Almen und Bergmähder vermitteln.
Woher kommt die Faszination für die Alm und was macht das Leben in den Bergen so besonders?
Helga Hager: Die Alm-DNA hat man oder eben nicht. Die Faszination für die Alm habe ich seit meiner Kindheit, wo ich die Freiheit der Alm lieben und schätzen gelernt habe. Die Alm ist für mich ein Rückzugsort, der gleichzeitig meine Abenteuerlust stillt und von den Erlebnissen mit meinen Großeltern geprägt ist. Seither hat mich die Alm nie mehr losgelassen. Nach insgesamt 20 Jahren Almsommererfahrung kann ich sagen, dass kein Tag wie der andere ist. Geprägt wird er von vielen Faktoren, vor allem aber vom Leben mit unseren Tieren in der Natur. Und auch wenn es nicht immer einfach ist, so ist die tägliche Arbeit mit den Tieren für mich erfüllend. Ohne meine Ziegen würde es mich auf der Alm gewiss nicht mehr geben.
Woher kam die Leidenschaft für Ziegen?
Helga Hager: Ziegen mag man eben oder nicht – ich liebe sie und schätze mich glücklich, eine Zucht mit 17 Ziegen aufgebaut zu haben. Die Tauernschecken – eine vom Aussterben bedrohte Gebirgsziegenrasse – hat im Valsertal seit jeher einen großen Stellenwert. Ich selbst bin damit aufgewachsen und habe mich früh mit der „Goaßliebe“ infiziert. Ziegen sind außergewöhnliche Tiere, intelligent, neugierig, können uns vor Steinschlag warnen und spiegeln unser eigenes Befinden wider. Wenn es im Stall nicht funktioniert, ist nicht die Ziege schuld, sondern der Mensch, der seine Stimmung auf die Ziegen überträgt. Dieses Einfühlungsvermögen der Ziegen hat therapeutische Wirkung. Nicht ohne Grund lieben Gäste und Einheimische – vom Manager bis zum Kind – die Wanderungen mit meinen Ziegen. Und fühlen sich bei der anschließenden Jause mit selbstgemachtem Ziegen-Frischkäse und einem guten Glas Wein erholt.
Mit welchen Herausforderungen, besonders als Frau, ist man auf der Alm konfrontiert? Vermisst man Annehmlichkeiten?
Helga Hager: Zu Beginn eines jeden Almsommers braucht es eine kleine Umstellungsphase, aber eigentlich vermisse ich auf der Alm nichts. Gekocht wird auf dem Holzherd, ich habe eine Dusche und Strom. Obst und Gemüse bringen die freiwilligen Helfer mit. Zusätzlich habe ich einen guten Wein, einen italienischen Espresso und Getreide zum Mahlen – was will Frau mehr? Natürlich ist das Leben auf der Alm nicht einfach. Starke Gewitter, komplizierte Gesetze und hohe Hygienestandards erschweren den Alltag. Auch die körperliche Belastungsfähigkeit spielt eine große Rolle.Welche Frau kann schon ein schweres Weidezaungerät auf den Berg tragen? Dann wären da noch die Großraubtiere. Sie bereiten mir Unbehagen und zusätzliche Arbeit z.B. durch das Errichten von Zäunen und dem Behirten der Tiere. Und natürlich ist der Erhalt der Alm eine finanzielle Herausforderung. Ich trage gerne zum Erhalt der Kulturlandschaft bei, muss aber gleichzeitig versuchen meine Tätigkeit durch Zuverdienste wie die Ziegen-Wanderungen oder einer kleinen Jause zu entgelten. Kleinstrukturierte Landwirtschaft ist das teuerste Hobby, das man haben kann.
Welchen Vorurteilen muss sich eine Frau auf der Alm stellen oder hat man vielleicht sogar Vorteile gegenüber Männern?
Helga Hager: Am Anfang wurde mir als Frau viel Skepsis entgegengebracht. Viele fragten sich, wie lange ich es wohl mit meiner Illusion durchhalte. Man muss eben damit leben, dass es einigen nicht passt, was man macht. Diese Phase habe ich mit viel Ehrgeiz durchgestanden und allen bewiesen, wozu eine zielstrebige oder „eigensinnige“ Frau fähig ist. Ich hatte immer das Gefühl, das bin ich meinem Großvater schuldig. Mein Durchhaltevermögen hat sich ausgezahlt: Dank meiner Arbeit wurden die Bergmähder Ocherloch und Widum revitalisiert.
Als Frau kann man viel erreichen, wenn man will. Frauen sind emphatischer mit Mensch und Tier. Besonders mit den Ziegen können wir Frauen besser umgehen, weil wir ihnen ähnlicher sind. Wir haben ein Gespür für Wetter und Gefahren, den Sinn für Schönes und Genussvolles und die Vorliebe für Ordnung und Sauberkeit. Außerdem wurde uns die Sammelleidenschaft für Kräuter und Beeren sowie die Herstellung von Volksheilmitteln in die Wiege gelegt, dafür sind wir den Männern körperlich unterlegen. Meine Devise lautet, man muss nicht alles können, aber sich zu helfen wissen. Ich war mir nie zu schade, die Männer um Hilfe zu bitten und nur gemeinsam kann die viele Almarbeit gut bewältigt werden.
Was möchten Sie anderen Frauen mitgeben, die auch auf der Alm arbeiten möchten?
Helga Hager: Bevor man auf die Alm geht, ist eine Selbstanalyse wichtig, weil körperlicher Einsatz und Ausdauer gefragt sind. Man sollte keine großen Leiden haben und mentale Stärke besitzen. Letztendlich muss jede Frau für sich entscheiden, ob sie psychisch und körperlich dazu in der Lage ist. Fakt ist, es braucht mehr Frauen mit speziellen Ausbildungen wie z.B. im Bereich Ernährung und Gesundheit, um als Botschafterinnen für die unverfälschten, hochqualitativen Almprodukte aufzutreten. Wenn Frauen auf der Alm arbeiten wollen, müssen sie grenzenlosen Idealismus, ganz viel Herzblut, Passion, Flexibilität und Ausdauer mitbringen. Mein Tipp an alle Frauen: In der Schule der Alm können sie in der Realität testen, ob ihnen das Leben auf der Alm zusagt und die Arbeit bewältigbar scheint.
Vielen Dank für das Gespräch!
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