…Unser Almfuchs hat nachgefragt, wie die Erfahrungen mit dem Wolf in der Schweiz tatsächlich sind und einen kompetenten Gesprächspartner dafür vors Mikrofon gebeten. Adrian Arquint steht dem Amt für Jagd und Fischerei im Kanton Graubünden vor, jener Behörde, die per Gesetz mit dem Wolfsmanagement betraut ist. Arquint betont, dass er sich nicht als „Wolfsexperte“ sieht und nur für die Schweiz bzw. den Kanton Graubünden verbindliche Aussagen treffen kann.
Adrian Arquint, Sie stehen dem Amt für Jagd und Fischerei im Kanton Graubünden vor. Sie sind also ganz direkt und an oberster Vollzugsstelle mit den Herausforderungen konfrontiert im Zusammenhang mit der Wiederkehr der Großraubtiere in der Schweiz und vor allem im Kanton Graubünden. Wie würden Sie Ihre diesbezüglichen Erfahrungen in wenigen Sätzen zusammenfassen.
Adrian Arquint: Wir als Jagdbehörde sind zwischen den polarisierenden Gruppen, wir sind die Manager, versuchen das sachlich anzugehen, sehen die Konflikte, sehen aber auch den Wolf als geschütztes Tier, das ist unser gesetzlicher Auftrag. So sind wir halt immer irgendwo dazwischen. Ich verstehe das Management und auch das Gesetz ganz klar, dass man schützt, aber auch eingreift dort, wo es notwendig ist. Auch bei anderen geschützten Tierarten, wie dem Steinbock, greifen wir jagdlich ein, regulieren wir den Bestand, um größere Schäden zu verhindern. Und beim Wolf wäre das aus meiner Sicht genau dasselbe.
Die Schweiz wird insbesondere von Befürwortern des uneingeschränkten Schutzstatus‘ des Wolfes als Musterland der Koexistenz Mensch-Wolf ins Treffen geführt. In diesem Zusammenhang auch als vorbildlich in Sachen Herdenschutz genannt. Ist also alles in Butter in der Schweiz?
Adrian Arquint: In der Schweiz war „alles in Butter“ vor 10, vor 5 Jahren. Es war eine Bereitschaft da auf allen Seiten sich auf die Koexistenz mit dem Wolf einzulassen. Man hat viel Geld und Energie etwa in den Herdenschutz investiert. Jetzt durch das exponentielle Wachstum der Wolfspopulation brauchen wir weitere Schritte im Management. Die gesetzliche Grundlage reicht nicht mehr aus.
Aus meiner Sicht hat der Herdenschutz zunächst gut funktioniert. Wir kommen jetzt an seine Grenzen und als Unterstützung dazu braucht es eine Regulierungsmöglichkeit, ohne, dass man eine Schadensschwelle abwarten muss, wie es das Gesetz immer noch fordert.
Was uns Sorgen macht, sind einzelne Wölfe, die gelernt haben, Schutzmaßnahmen zu überwinden und auch Rindvieh, Esel usw. anzugreifen, zu töten. Diese Wölfe sind problematisch, die müssten wir rasch entnehmen dürfen, bevor sie weiteren Schaden anrichten und ihr Verhalten weitergeben. Wir reden hier von präventiver Entnahme, ohne den Wolfsbestand dabei zu gefährden.
Ein Versuch den Schutzstatus des Wolfes dahingehend abzuändern, dass die von Ihnen angesprochene „präventive Entnahme“ möglich geworden wäre, ist aber vor zwei Jahren am Volksentscheid in der Schweiz gescheitert.
Adrian Arquint: Das Wolfsthema hatten wir ja hauptsächlich im Kanton Graubünden. In den meisten anderen Kantonen waren sich die Leute nicht bewusst, was es heißt, Wölfe in der Kulturlandschaft zu haben und haben deshalb die vom Bund angestrebte gesetzliche Änderung des Schutzstatus‘ des Wolfes, die auch von unserer Behörde unterstützt wurde, abgelehnt. Aber ich glaube, da hat sich in den letzten zwei Jahren viel getan, weil sich auch der Wolf in andere Gebiete ausgebreitet hat. Man hat ja klar gesehen, dass unser Anliegen in den betroffenen Kantonen, wie eben Graubünden oder auch dem Wallis, eine überwältigende Mehrheit gefunden hat.
Auch in den Städten spricht es sich schön langsam herum, dass sich die Wolfspopulation alle zwei, drei Jahre verdoppelt und dass die Konflikte zunehmen trotz aller Bemühungen beim Herdenschutz. Die natürlich hauptsächlich betroffenen Bauern machen auf ihre Probleme aufmerksam. Medien nehmen das Thema wahr. Wir versuchen sachlich darüber zu informieren. Damit weiterhin alle Bevölkerungsschichten eine Koexistenz mit den Wölfen akzeptieren, braucht es eine Revision des Jagdgesetzes. Es sieht auch danach aus, dass die politischen Diskussionen in diese Richtung gehen. Langsam erkennen auch die Naturschützer, dass es diesen weiteren Schritt im Management braucht.
In Tirol, in Österreich, sehe ich wenig Signale, dass sich die beiden Lager – hier die Wolfsschützer, hier die Berg- und Almbauern und jene, die sich mit ihren Nöten solidarisieren, aufeinander zubewegen – eher im Gegenteil…
Adrian Arquint: Das Thema Wolf polarisiert. Auch in der Schweiz. Und wenn es zwei extreme Pole hat, wird es immer schwierig einen Kompromiss zu finden. Aber Kompromisse wird es brauchen, auch wenn sie in der heutigen Zeit vielleicht nicht so „sexy“ sind wie die Maximalforderungen. Wenn ich nur auf die Sozialen Medien schaue, dann habe ich nach wie vor praktisch ausschließlich polarisierende Lager. Aber bei den Entscheidern in der Politik, bei den Verbänden merke ich doch, dass die sachlichen Argumente schön langsam Gehör finden, die klar für eine Revision des Jagdgesetzes, die klar für präventive Entnahmen sprechen. Aber bis zur Revision der eidgenössischen Jagdgesetzgebung wird es noch eine Durststrecke geben vor allem für die betroffenen Bauern und die Landbevölkerung.
Uns in Tirol und in Österreich wird gerne die Schweiz als Vorbild genannt, weil dort die Ausgangslage vergleichbar sei. Also der Wolf, der in intensiv genutzte Lebensräume zurückkehrt. Jetzt würde ich Ihnen gerne ein paar Zahlen nennen: Tirol hat weniger als die doppelte Fläche von Graubünden, etwa viermal so viele Einwohner und zehnmal so viele Übernachtungen. Tirol hat mit 50 Millionen Übernachtungen sogar mehr als die ganze Schweiz zusammen (ca. 38 Mio. lt. Vor-Corona-Zahlen).
Adrian Arquint: Bei Vergleichen muss man immer aufpassen. Die Wölfe im Yellowstone-Nationalpark werden häufig genannt als Beispiel für die ökologische Bedeutung des Wolfes. Aber Yellowstone ist nicht Graubünden, ist keine intensiv bewirtschaftete Kulturlandschaft. Auch die Situation in Italien und Frankreich, wo der Wolf sich ausbreitet, ist eine andere wie in der Schweiz. Und so wie es aussieht, ist da noch einmal ein Unterschied in der Nutzungsintensität zwischen der Schweiz und Tirol.
Man muss sich Gedanken machen, nicht nur bei den Landwirten. Genauso auf Gemeindeebene, bei den Tourismusverbänden: Mit dem Wolf braucht es Entflechtungen der Wanderwege, der Bike-Wege, braucht es Gebiete mit Herdenschutzhunden. Wie macht man das in der Zukunft? Da haben wir auch noch nicht die Lösung gefunden in der Schweiz.
Aber: Der Wolf wird auch mit einer Regulation da sein. Was immer wieder vielleicht auch nicht gehört wird: Herdenschutz braucht es, mir scheint es manchmal so, dass man vor allem schießen möchte, aber nicht unbedingt Herdenschutz betreiben.
Vielen Dank für das Gespräch!