Ich bin auf der herrlichen Rodelbahn zur Gogles-Alm hoch über dem Pillersattel im Tiroler Oberland unterwegs. Zuerst geht es durch recht dichte Waldbestände. Fichten, Tannen, später dann zusehends mehr Lärchen und kurz vor der Alm, wo der Wald in lockere Bestände und einzelne Bäume ausläuft, gesellen sich noch Zirben dazu. Eine typische, abwechslungsreiche Almlandschaft erfreut meine Augen.
Nach einer halben Stunde Gehweg komme ich an folgendem Schild vorbei:
Eine „Wildruhezone“ mit der klaren Aufforderung, das entsprechend ausgewiesene Gebiet im Winter nicht zu betreten. Das Land Tirol, der Tiroler Jägerverband und die ansässigen Tourismusverbände „bitten“ mit Nachdruck um Verständnis für das Ruhebedürfnis von Bambi und Co. Reh- und Rotwild haben’s schwer genug in der kalten Jahreszeit. Diese „Einschränkung“ sollte uns Freiluft-Enthusiasten doch zumutbar sein, denke ich.
Und weiter gehen meine Gedanken. Meine vielen Begegnungen mit Jägern und Forstverantwortlichen während meiner Almsommer fallen mir ein. Wie bereichernd diese Gespräche für mich waren und wie sie meine Außensicht auf die Koexistenz von Jagd-Forst und Alm-Bewirtschaftern auf demselben Raum verändert haben. War ich vor diesen Begegnungen doch davon ausgegangen, dass massive Interessenkonflikte das Verhältnis dieser Bewirtschafter belasten, so wurde mir immer öfter klar, dass hier keine unauflösliche Konkurrenzsituation vorliegt, zumindest nicht vorliegen muss, sondern vielmehr das Gegenteil der Fall ist.
Die vermeintliche Nahrungskonkurrenz zwischen Wild- und Nutztieren stellt sich in der Praxis oft als Synergie heraus. Zunächst bietet das „Ökosystem Alm“ aufgrund seiner Vielfalt zahlreichen Wildtieren Lebensraum. Dieses Ökosystem wurde aber teilweise erst durch Bewirtschaftung geschaffen. Auch wenn wir Wild mit Wald assoziieren, so ist ein dichter, geschlossener Wald für das Wild zwar als Ruhe- und Schutzzone wichtig, aber „zum Fressen gern“ haben unsere Wildtiere den (ausgewachsenen) Wald nicht unbedingt – zumindest so lange sie bessere Alternativen finden. Genau auf diesen Flächen aber grasen auch Kuh und Co. und halten sie dadurch für die Nutzung durch ihre wilden Kollegen aus dem Reich der Wiederkäuer frei. Andernfalls würden all diese Flächen verbuschen und später verwalden.
Mir ist schon klar, dass die hier geschilderte synergetische bis symbiotische Beziehung zwischen Alm-, Jagd- und Forstwirtschaft nicht von allen so gesehen und gehandhabt wird. Es gibt Konflikte, es gibt Streitereien.
Ich selbst hatte als Alminger jedoch immer ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Weidmännern und -frauen und Forstverantwortlichen. Wir gingen jeweils unserer eigenen Arbeit nach, trafen uns zufällig, kamen ins Gespräch, stießen nach Feierabend mit einem Bier an. Unvergessen bleibt mir ein Abendessen, das ich für Robert, meinen Lieblings-Jäger auf der herrlichen Rohntalam im Karwendel, zubereitet habe. Leber und Herz einer frisch erlegten Gams hatte Robert mir am Nachmittag überlassen. Während wir uns beim Abendessen daran erfreuten, krachten in unmittelbarer Nähe zur Hütte kapitale Hirsche mit ihren Stangen zusammen, dass die Erde davon erbebte. Auf einem der besten Brunftplätze des ganzen Karwendels machten sich diese Herren das Nachwuchsgeschäft aus. Auch diese fantastische Freiluftarena verdankt sich der Almwirtschaft, denn sie wurde vor vielen Jahrhunderten gerodet und wird seitdem von fleißigen Kühen freigehalten.
Weitere spannende Beiträge zu den unterschiedlichen Tieren auf der Alm gibt’s hier:
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