Die Gramai, ein klingender Name, einer der schönsten Talschlüsse des Landes mit den jäh steil aufragenden Karwendelgipfeln, die den Weiterweg versperren. Gipfel wie Lamsenspitze, Sonnjoch oder Hochnissl sind begehrte Ziele für den ambitionierten Wanderer und Kletterfreund. Das Alpenressort Gramai eine alpine Wellnessoase internationalen Zuschnitts. Neben Deutsch hört man hier viele andere Sprachen. An schönen Sommertagen ist der sehr großzügig angelegte Parkplatz gerammelt voll.
So auch heute zum Almabtrieb. Viele viele Schaulustige finden sich schon zum Frühschoppen ein und bestaunen die wunderschönen Kränze, mit denen die Kühe geschmückt werden fürs Heimfahr-Fest. Das Herzstück der ganzen „Anlage“ ist und bleibt die Alm an sich, deren almwirtschaftliche Nutzung urkundlich bis ins 16. Jahrhundert nachgewiesen ist. Auch mein Patenonkel Andreas mit seiner lieben Frau Marianne hat sich in die Annalen der Gramai als Alminger eingeschrieben. Mehrere Sommer in den 60ern des letzten Jahrhunderts hatte Onkel Annerl das Kommando über die Kühe und meine Tante Marianne über die Küche über. Sie verpflegte in ihrem ersten Almsommer – wie sie mir erzählt hat – hochschwanger sowohl die Almmannschaft als auch die vergleichsweise noch wenigen Besucher.
Wunderschöne Buschen, gewaltige Glocken
Selten noch habe ich derart geschmackvolle „Buschen“ gesehen wie hier in der Gramai. In die Buchsbaum-Kränze, die auf einem festen Rückgrat aus „Taxen“ (dicke Tannenzweige) aufruhen, sind doch tatsächlich echte Blumen eingearbeitet. Rosen in mehreren Farbschlägen erkenne ich, Sonnenblumen usw. Jeder Buschen trägt ein eigenes Motiv, häufig religiöser Natur oder den Tiroler Adler, der eine oder andere einen kurzen Sinnspruch.
Das gefällt mir und die gewaltigen Glocken nicht weniger. Dass letztere jeder Kuh „gefallen“, würde ich jetzt nicht unbedingt behaupten. Vor allem Almabtriebs-Novizinnen haben eine Zeit lang nicht die ganz große Freude offensichtlich mit dem lauten „Trumm“ um ihren Hals. Sie wissen ja noch nicht, dass sie die in wenigen Stunden wieder los sind, wie es ihre erfahreneren Kolleginnen wissen, die den einen oder anderen Almabtrieb schon hinter sich haben. Diese bleiben denn auch, aufgekränzt und mit der Riesenschelle behängt, ganz entspannt. Von den oben erwähnten Neulingen aber geht eine spürbare Nervosität aus, die von der Treibermannschaft argwöhnisch beobachtet wird. Eine besonders nervöse Jungkuh tritt gar die Flucht nach vorne an mit ihrer Glocke, rennt durch den Elektrozaun die Straße entlang der Herde ein gutes Stück voraus bis sie von Alminger Michael schließlich gestellt und eine Zeit lang am Halfter geführt wird.
Dankbarkeit ist der ursprüngliche Sinn
Ich unterhalte mich mit Michael und er ist mit mir einer Meinung, dass natürlich auch die ungewohnte Menschenmenge für die eine oder andere Kuh einen gewissen Stressfaktor bedeutet. Aber wer will es den vielen Schaulustigen verdenken, wenn sie sich dieses bunte Treiben nicht entgehen lassen wollen? Eine andere Frage ist es, ob dessen ursprünglicher Sinn den Zaungästen noch irgendwie bewusst ist, ob er mitschwingt sozusagen im Takt der weithin hallenden Kuhglocken?
Ich wäre ja ganz klar dafür, dass dieser Sinn bei derartigen Gelegenheiten ganz offiziell betont und in einer kurzen Ansprache den vielen ahnungslosen Gästen vermittelt wird, bevor die x-te „Alpenkombo“ die Zuschauermenge volldröhnt. Ich wäre ganz klar dafür und würde mich sofort als „Almfuchs“ bereit erklären es zu übernehmen, ein wenig über die tiefere Bedeutung dieses Festes zu Ehren der Kühe und der Almhirten zu sinnieren. Und dabei den Gästen etwas von der Dankbarkeit mitzuteilen, ja sie einzuladen, diese zu teilen, die den feierlich begangenen Almabtrieb als Grundgefühl beseelt.
Schließlich verdanken unsere Gäste und wir Einheimische zuallererst den Almkühen und deren fleißigen Almhirten und -hirtinnen, dass Orte wie die Gramai so wanderbar und wunderbar sind, wie sie es eben sind. Nicht von Natur aus, sondern als behutsam und beharrlich seit Jahrhunderten von Almwirtschaft, von alpiner Agri-Kultur geformt und geprägt.
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