Viele Bergbauernhöfe und Almen stehen vor dem wirtschaftlichen Aus – mit weitreichenden Folgen, warnt Matthias Gauly, Professor an der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften an der Freien Uni Bozen. Im Interview mit unserem Almfuchs bringt er einen rasch umsetzbaren Lösungsvorschlag: Touristen zahlen mit einem Minimalbetrag direkt in den Erhalt ihres Urlaubsparadieses ein. Von der Kur- zur Kuhtaxe quasi.
Herr Professor Gauly, wie würden Sie die, vor allem wirtschaftliche, Situation der Betriebe in der Berglandwirtschaft beschreiben?
Matthias Gauly: Die wirtschaftliche Situation ist schwierig und führt auch dazu, dass sowohl Betriebe im Voll- als auch im Nebenerwerb sich mehr und mehr die Frage stellen, wie lange sie das noch machen können und die nächste Generation zum Teil nicht mehr bereit ist, diese Tätigkeiten für diese sehr niedrige Arbeitsentlohnung noch auszuführen. Nur bei oberflächlicher Betrachtung der Betriebe mag es so aussehen, als wären diese ausgesprochen gut wirtschaftlich aufgestellt. Das hat bei uns zumindest in der Diskussion auch mit der Bevölkerung im Tal bzw. in der Stadt zu Missverständnissen geführt. Das meiste investierte Geld kommt von außerhalb der Landwirtschaft.
Welche Folgen hätte es, wenn viele dieser Berglandwirtschaftsbetriebe mit deren zugehörigen Almen tatsächlich aufhören?
Matthias Gauly: Also aus meiner Sicht sind die Konsequenzen sehr vielseitig. Es wird häufig reduziert darauf, dass wir sagen, dann wird das entsprechende Landschaftsbild nicht erhalten und der Tourist, auch der Einheimische, dann die Almen nicht mehr nutzen kann, bewandern oder mit den Skiern befahren. Dazu kommen eine Reihe von anderen Aspekten: Verlust an Biodiversität, Verlust natürlich auch an Lebensmittelerzeugung, Verlust des Erhaltens der Schutzfunktionen. Ein Punkt ist besonders wichtig und wird häufig vergessen: die soziale Funktion, die Berglandwirte in den Gemeinden erfüllen. Es sind ja häufig Landwirte, die ein Ehrenamt innehaben, z.B. bei der Feuerwehr und Schutzeinrichtungen bis hin zur Bergwacht. Wenn die woanders in einem Vollerwerb gebunden sind, dann haben wir hier einen Teil der Funktion, die für das Überleben der Gemeinden ganz wichtig sind, verloren. Darüber hinaus (und jetzt würde ich den Touristiker ansprechen), gestalten die [Berglandwirte] natürlich ein Bild der Gemeinde. Es sind so banale Dinge wie: Wo gibt es denn künftig noch ein Almabtriebsfest, wenn wir keine Tiere mehr auf der Alm haben und wenn Landwirte das nicht zeigen? Das spielt für den Touristen durchaus eine wichtige Rolle. Wir werden also Strukturveränderungen in Gemeinden sehen, die den Touristen nicht gefallen werden. Also viele Funktionen, die da wegfallen. Die sind alle gleichermaßen wichtig und zu bedenken, wenn man sich dazu entschließt, Berglandwirtschaft nicht zu fördern bzw. in Zukunft nicht weiter zu unterstützen.
Sie bringen das Stichwort: Unterstützung. Unterstützt der Tourismussektor ausreichend den Erhalt der Almwirtschaft?
Matthias Gauly: Das würde ich pauschal mit „Nein“ beantworten. Es gibt sehr rühmliche Ausnahmen im Tourismussektor, die ihre Funktion begriffen haben, indem sie beispielsweise sehr bewusst regionale Produkte nutzen und diese entsprechend kennzeichnen und wissen, dass der Preis ein anderer ist, dass es anders zu kommunizieren ist. Es gibt Einzelne, die das machen. Die Mehrheit hat das noch nicht begriffen. Da ist man mit Sicherheit noch weit hintendran und da gibt es eine ganze Menge an Spielraum. Wir brauchen für das teurer erzeugte Produkt auch den Abnehmer.
Jetzt bringen Sie die Idee einer zusätzlichen Abgeltung der Leistungen der Berglandwirtschaft durch den Tourismussektor ein. Stichwort „Grüner Euro“. Können Sie Ihre Idee etwas ausführen?
Matthias Gauly: Es handelt sich um eine gezielte Förderung durch den Touristen, durch eine Abgabe des Touristen. Das ist keine Erhöhung der Ortstaxen, sondern eine separat ausgewiesene Abgabe, die wir als „grünen Euro“ bezeichnet haben, für gezielte Unterstützungsmaßnahmen im Bereich der Berglandwirtschaft. Also nicht etwas, was der Touristiker bezahlt, sondern der Tourist. Und es muss dem Touristiker endlich mal klar werden, dass wir nicht ihm das abverlangen.
An welche Größenordnung denken Sie hier?
Matthias Gauly: Wir reden über einen Beitrag pro Übernächtigung von 1 bis 3 Euro beispielsweise als Einstieg. Und das ist bei uns (Anm. Südtirol) dann immerhin so, dass Beträge zwischen 30 und 90 Millionen, die wir einnehmen und wenn wir die sehr gezielt einsetzen, nämlich genau für die Betriebe, die es brauchen, dann würde Erhebliches ausmachen. Ein Betrag von 60 Millionen wäre bei uns immerhin ca. 1/3 der gesamten Förderungen, die wir momentan in die Landwirtschaft stecken.
Wem müsste denn diese Idee nahegelegt werden und wie würden sie sie argumentieren?
Matthias Gauly: Nahe gelegt muss es natürlich schon dem Tourismussektor werden, als denjenigen, die am stärksten dagegen wären, weil sie zunächst so tun, als wenn sie das selbst bezahlen. Wenn sie begriffen haben, dass das nicht so ist, kommt das Scheinargument, der Gast wäre nicht bereit, die zusätzliche Abgabe zu bezahlen. Man muss sich doch mal die Relationen vor Augen führen. Wenn ein Skipass pro Tag 60 € und mehr kostet, kann doch nicht ernsthaft die tägliche Beitragszahlung in den grünen Euro irgendeinen abschrecken. Und ich sage vielleicht auch im Zusatz: Der Gast, der wegen diesem Euro weniger kommt, der darf auch gerne woanders Urlaub machen.
Es gibt darüber hinaus doch intelligente Möglichkeiten, und das ist anders als bei der Ortstaxe, dem Gast deutlich zu kommunizieren, was mit diesem Geld passiert. Also stellen Sie sich beispielsweise eine App vor, wo ein Gast nicht nur sehen kann, wofür sein „grüner Euro“ verwendet wird, sondern wo er sogar Prioritäten setzen kann. Also er sagt zum Beispiel „Ich will, dass mein Geld für Verbesserung des Tierwohls in der Berglandwirtschaft eingesetzt wird, oder für die Erhaltung der Biodiversität, oder für die Extensivierung von Grünland und, und, und“. Wenn so eine Kommunikation stattfindet, gibt es eine Win-Win-Situation. Ich bin davon überzeugt, dass es auch für den Tourismussektor ein Gewinn am Ende des Tages ist und nicht ein Gast weniger kommt.
Gibt es ähnliche Modelle? Gibt es Vorbilder?
Matthias Gauly: Es gibt natürlich Vorbilder, was die Abgabe von zusätzlichen Zahlungen der Touristen angeht, die spezifisch für Umweltdinge genutzt werden, beispielsweise auf den Balearen. Es gibt auch kleinere Beispiele aus Regionen in Deutschland, beispielsweise um bestimmte Flächen zu nutzen, aber im größeren Stil, so wie das jetzt vorgeschlagen wird, gibt es in diesem Bereich wenig. Es gibt ja einige, die zusätzliche Abgaben fordern. Aber es geht selten jemand im Denkmodell mal so weit, dass er auch sagt „Was machen wir eigentlich mit dem Geld?“
Wer, außer der Tourist, der seinen „grünen Euro“ zweckwidmet, sollte denn darüber entscheiden?
Matthias Gauly: Wir brauchen eine intelligente Struktur. Ich stelle mir da zum Beispiel ein Gremium vor, in dem aus verschiedenen Sektoren Personen sitzen. Da kann ja auch jemand aus dem Tourismussektor dabei sein, die sage ich mal, sich im Fünf-Jahres-Rhythmus überlegen: „Was sind denn unsere Ziele? Was ist denn unser gemeinschaftliches Anliegen? Wo brauchen wir die Förderung?“
Also beispielsweise bei der Erhaltung der Almen, die ja eine wichtige Rolle spielen. Wir haben da Aufwendungen, wenn wir sagen, wir wollen da nach wie vor Fahrradfahrer oder Wanderer haben. Wir haben gleichzeitig den Wolf, wir wollen aber auch unsere Nutztiere schützen. Also da kann ich mir vorstellen, dass man gemeinschaftlich dafür die Ausgaben, die Dimension, die Einkommen und Maßnahmen entscheidet und das soll eben nicht nur jemand sein, der aus dem Landwirtschaftssektor kommt, sondern da dürfen Touristiker ruhig mit dabei sein, damit sie die Maßnahmen mittragen.
Und dann haben wir, eine gute Strategie, wie wir Mittel vergeben können, wie wir steuern können, dass Betriebe ganz bewusst weiterleben. Was nicht passieren darf, ist die Verausgabung mit der Gießkanne. Das heißt, jeder, der ein Kilogramm Milch erzeugt, kriegt künftig pro Kilogramm Milch z.B. 10 Cent. Das wäre nicht fair und sogar kontraproduktiv. Da sind eben auch Landwirte dabei, die gar nicht in dem Sinne der Berglandwirtschaft etwas betreiben, wie wir das wollen. Das trägt weder zum Landschaftsbild noch zum Image der Berglandwirtschaft bei.
Wo sehen Sie die größten Hindernisse in der Umsetzung ihrer Idee, ihrer Forderung?
Matthias Gauly: Man kann sich vorstellen, dass es Hindernisse nicht nur aus dem Tourismussektor gibt, sondern es wird auch Gegenstimmen aus der Landwirtschaft geben. Es wird also zum Beispiel ein Milchbetrieb in einer Gunstlage evtl. gleichermaßen einen Zuschlag für seine Milch fordern. Jetzt müsste man an die Solidarität der Landwirte appellieren. Und die ist nicht immer hundertprozentig ausgeprägt. Also je nachdem, wie der grüne Euro gestaltet ist und aus meiner Sicht muss er so gestaltet sein, dass er eben die kritischen Strukturen in der Landwirtschaft erhält, wird es auch innerhalb der Landwirtschaft Stimmen geben, die sagen, wenn es Geld gibt, dann will ich aber gerne auch eins haben. Da wird es Hindernisse geben. Aber die muss man aushalten und die muss man kommunizieren. Und da muss man auch innerhalb der Landwirtschaft ehrlich argumentieren.
Der Teufel steckt wie überall dann im Detail, in der Ausarbeitung?
Matthias Gauly: Absolut.
Herzlichen Dank für das Gespräch!