Almauftrieb – Der Sommer beginnt

Das Leben auf der Alm gelingt unter zwei Voraussetzungen: Die Natur ernst nehmen und alle helfen zusammen!

Aus dem Stall dringt leises Schnauben und Stampfen von Kühen. Der nahe Morgen mit der üblichen Routine am Leitner Hof in Ramsau im Zillertal kündigt sich an. Mist wegräumen, Futter bereitstellen, die Tiere putzen und Melken werden wie jeden Tag vorgenommen. Und doch ist es heute anders. Im Haus sind bereits alle wach. Victoria Hotter hat die notwendigen „Kleinigkeiten“ wie Kleidung, Geschirr, Lebensmittel, ja den halben Haushalt wie für eine Reise von etwa drei Monaten Aufenthalt gepackt. Gerald und Hansjörg Hotter bereiten den Transport der 14 Milchkühe auf die circa 25 km entfernte und 1300 Meter höher gelegene Alm vor. Um 8.00 Uhr soll der Viehtransporter die wertvolle Fracht zunächst über die kurvige Passstraße nach Gerlos und dann durch das dort nach rechts abzweigende Schönachtal, an der Iss – Alm vorbei, weitere dreieinhalb Kilometer den Berg hinauf zur Stackerlalm bringen.

Die Alm ist seit 1879 im Familienbesitz und gehört zum Leitner Hof. Nach dem Tod des Großvaters hat ursprünglich Hansjörg Hotter bereits mit 18 Jahren (!) die Alm bewirtschaftet. Heute betreut er den Leitner – Hof mit seiner Familie und seine Eltern, Gerald und Victoria, gehen heuer zum 7. Mal auf die Alm.

Die Stackerlalm liegt etwas geschützt auf 1850 m und umfasst neben zwei Gebäuden eine Almfläche von 116 ha. Davon sind etwa 43 ha Futterfläche, die 14 Kühe und acht Stück Jungvieh über den Sommer bis Mitte September ernähren sollen. Die hervorragende Futterqualität ermöglicht erfahrungsgemäß die Produktion von 280 l Milch (Inhaltsstoffe: 5% Fett, 3,8% Eiweiß) pro Tag. Die Milch wird über eine Materialseilbahn ins Tal transportiert. Die Seilbahn wurde 1967 gebaut und der Weg auf die Alm 2006. Beides waren Errungenschaften, die das harte Leben wesentlich erleichtern.

Die Natur hat heuer mit Schneefall und Kälte den Almauftrieb um zwei bis drei Wochen nach hinten verschoben. Umso mehr haben ihn alle sehnsuchtsvoll erwartet. Denn wie Gerald Hotter sagt: „Im Frühjahr kommt die Sehnsucht nach der Alm, im Herbst kommt die Sehnsucht nach dem Zuhause.“

Gerald und seine Frau, von ihren Freunden liebevoll Vici genannt, sind beim Almgebäude eingelangt und verstauen ihre mitgebrachten Utensilien. Auch an Gäste ist gedacht. Ausgezeichneter Käse und Speck sind mit dem selbstgebackenen Brot, das, was jeder liebt. Die Philosophie ihrer Almgastronomie: „Wir wollen dem Gast etwas bieten, was er nicht im Supermarkt kaufen kann!“ Vici ist besonders stolz auf ihre 20 verschiedenen Sorten selbstgebrannten Schnaps, von denen mancher prämiert ist. Ein Stamperl Meisterwurz-, Vogelbeer- oder Zirbenschnaps ist bei allen sehr willkommen und gibt Kraft für die weitere Wanderung.

In der Zwischenzeit schleppt sich der LKW langsam den steilen Weg hinauf. Nur erfahrene und vorsichtige Lenker schaffen am Rande des Abgrunds und in spitzen Kehren die verschiedenen Fahrmanöver. Endlich nach mulmigen Metern ist es geschafft. Nach dem Entladen gehen die Kühe die letzten paar hundert Meter selbst. Die älteren unter ihnen erkennen „ihre“ Alm und lassen ihrem Übermut freien Lauf. Die Jüngeren folgen ihnen. Einem glücklichen Almsommer steht nichts im Wege.

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