Der Text stammt von Martin Achrainer, Historiker und Betreuer des Archivs vom österreichischen Alpenverein. Er liefert Historisches aus der Wildschönau.
Sehen wir uns einige Angaben über die Wildschönauer Almwirtschaft aus dem 19. Jahrhundert an. Beda Weber beschreibt in seinem dreibändigen Werk über das Land Tirol die Almwirtschaft in der Wildschönau:
„Im hintersten Thalgrunde breiten sich zu beiden Seiten der Ache bei neun Alpen mit den milchreichsten Abhängen über die Rippen des Kalkgebirges aus, und nähren zahlreiches Vieh von Wiltschenau und den Ebenen des Innstroms. […] Die Viehzucht, der vorzüglichste, fast einzige Erwerbszweig des Thales, wird meistentheils von den Bauern selbst besorgt. Das Rindvieh, stark und kräftig gebaut, von brauner Farbe, ist besonders zur Zucht geeignet. In den Alpen […] trifft man Senner, in der Regel zwei in jeder Kasa (Kaser – Alphütte) für ungefähr 30-40 Kühe. Die Milch von vorzüglicher Güte wird anfangs, in der Mitte und am Ende der Alpenzeit gemessen, und nach dem jedesmaligen Masse der Nutzen für den Eigenthümer bestimmt.
Eine gute Kuh gibt im besten Zustande acht bis zehn Mass Milch, und während der ganzen Alpenzeit 80-90 Pfund Butter. Die Alpen bedecken den ganzen südlichen Bergrücken, und sind sämmtlich leicht zu besteigen. Die Senner sind grauevoll schmutzig, aber gränzenlos gastfreundlich. Das gesammte jährliche Alpenvieh beläuft sich auf 1400-1600 Stück Rindvieh.“
Rinder in der Wildschönau waren stark und kräftig
Erstmals haben wir also eine Aussage über das Rindvieh: stark und kräftig gebaut, von brauner Farbe. Von Rinderrassen war damals noch keine Rede. Einige Angaben beziehen sich offensichtlich auf die Schönangeralm. Dort wurde in vier „Kas“ gewirtschaftet: Schrattenthaler-, Breitenlechner-, Bernauer und Hauser Kas. Der Milchertrag von acht bis zehn Mass pro Tag, das sind elf bis 14 Liter, gilt nur für die beste Zeit: Nicht nur im Jahresdurchschnitt, auch im Durchschnitt der Almzeit wurde wesentlich weniger erreicht.
Der Ertrag an Butter, umgerechnet auf Butterschmalz, war mehr als doppelt so hoch wie wir ihn für 1544 errechnet haben. Stellen wir dieser Schilderung noch das trockene Zahlenwerk aus der ‚Statistik der Alpen Deutsch-Tirols‘ aus dem Jahr 1873 gegenüber, einer äußerst detaillierten Erhebung.
Fast 1200 Milchkühe und 500 Kälber auf Wildschönauer Almen
Gezählt wurden damals auf den Wildschönauer Almen 1183 Milchkühe und 12 Zuchtstiere, 494 Kälber und Galtvieh sowie 116 Schweine. Insgesamt waren 95 Personen auf den Almen beschäftigt, mit Einschluss der Besitzer und Familienmitglieder.
66 Hütten und 218 Ställe wurden erfasst, beschrieben werden in dürren Stichworten auch die Zustände der Zäune, der Wasserversorgung, der Düngeranbringung, Wegverhältnisse und Bewaldung. Erzeugt wurde die stattliche Menge von 33.013 kg Käse, davon 27.217 kg Fettkäse, und 5840 kg Butter. Freilich sind auch diese Zahlen teilweise fragwürdig
Pferde, Schafe und Ziegen fehlen zum Beispiel völlig, obwohl sie in der Erhebung vorgesehen waren. Manche auf das Kilogramm genaue Angabe entpuppt sich rasch als grobe Einheit: nämlich als Vielfaches von 56, also des alten Zentners.
Allerdings sind die Produktionsmengen kaum zu bezweifeln: Denn die Erhebungen wurden von den Steuereintreibern durchgeführt, und diesen hat noch kein Bauer eine Übertreibung aufgetischt! Viel zu groß war die Befürchtung (oder Erfahrung), dass einer amtlichen statistischen Erhebung eine neue Steuer auf dem Fuß folgt.
Ausbau der Fettkäserei ab Mitte 19. Jahrhundert
Die größte Veränderung gegenüber den früheren Zeiten war die ‚Schweizerei‘, die Fettkäserei nach Schweizer Vorbild. Die ersten Schweizer sind in Tirol um 1820 nachweisbar. Unter den Wildschönauern wird wahrscheinlich Sixtus Lanner (1827-1877) der erste Schweizer gewesen sein, der in den 1850er und 1860er-Jahren auf der Holzalm käste:
„Auf steilem und schlechtem Wege gelangten wir“, schreibt Simon Prem über einen Gang auf die Holzalm in seiner Kindheit, „zu den Hägen der Holzalm, wo wir in der ganz urväterlich aussehenden ‚Kaser‘ recht älplerisch bewirtet wurden und zusahen, wie Sixtus Lanner einen gewichtigen Schweizerkäs im Luftschwunge wendete, wie die Melcher mit der frischen Milch kamen und die Hirten das Vieh austrieben, während die sogenannten Putzer die leeren Ställe schorten.“ Die Bereitung der riesigen Käselaibe erfordert eine große Menge Milch und förderte damit die gemeinsame Bewirtschaftung, die ohnehin wegen der zunehmenden Schwierigkeit, Personal zu finden, notwendig wurde. Auf den kleineren Almen wurde noch bis weit ins 20. Jahrhundert nach den alten Methoden gebuttert und gekast. Seither sind die meisten Almen auf Galtalmen umgestellt worden, die Käsereien befinden sich auf einem hohen technischen Niveau, das Können der Käsemeister ist hervorragend und der Schönanger Almkäse erreicht Spitzenwerte. Insgesamt ist inzwischen aber der Erholungswert der Almlandschaft zu einem ihrer wichtigsten Wirtschaftsgüter geworden.
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