Die Rede von einer „Renaissance des Hirtenberufes“ aufgrund des Wolfes ist Wunschdenken
Um es sofort auf den Punkt zu bringen: Zum Hirten, zur Hirtin musst du geboren sein, das war und ist meine feste Überzeugung. Schön klingende Reden von einer angeblichen „Renaissance des Hirtenberufes“, die uns ausgerechnet die Rückkehr des Wolfes bescheren wird, halte ich für reines Wunschdenken oder ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Dass plötzlich viele neue geeignete Hirten und Hirtinnen wie Schwammerl aus dem Waldboden schießen werden, kann nur glauben, wer wenig bis gar keine Ahnung hat. Dazu müsste dieser Waldboden erst einmal bereitet werden. Zum Beispiel durch gezielte Aufwertung des Berufes, wie eine fundierte Ausbildung und angemessen Entlohnung. Beides sehe ich nicht im Ansatz gegeben. Wobei ich nichts gegen eine anständige Ausbildung für Hirten und Hirtinnen gesagt haben will, wie sie Deutschland beispielsweise zu bieten hat. Auch das LFI bietet hier jetzt schon einige sehr nützliche Module.
Das Anforderungsprofil für das Behirten auf Schafalmen…
… listet der Bericht recht trocken auf:
„Neben der Arbeitslast, welche die Hirt:innen tragen, brauchen sie auch eine gute Ortskenntnis und Beobachtungsgabe, sowie ein gutes Gespür für die Schafe und ihr Verhalten. Sie müssen die Zugrouten, Weidebewegungen und Eigenarten der einzelnen Schafe und Schafgruppen erfassen, die Vollständigkeit der Tiere abschätzen und Vertrauen in die vorgenommene Sektoreneinteilung haben.“
Ich darf ergänzen, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit:
- Körperliche Fitness im Hochleistungsbereich
- Absolute Verlässlichkeit
- Allwettertauglichkeit
- Sehr hohe psychische Belastbarkeit in Stresssituationen
- Tiermedizinische Grundkenntnisse und die Fähigkeit zu deren praktischer Anwendung
- Hohe Anspruchslosigkeit in Hinblick auf Unterkunft und Verpflegung
- „Allein-Sein-Können“ usw., usf.
Nur zwei Kennziffern zur Arbeitsbelastung aus dem Projektbericht, die ich glaube gar nicht weiter kommentieren zu müssen: Alois Marth, der Haupthirt auf der Projektalm Lader Heuberg, den ich im Sommer 2022 oben auf 2800 m und 2023 beim Schafschied in Pfunds interviewt habe, hat seine Arbeitszeiten minutiös dokumentiert und bei all seinen Arbeitsgängen einen GPS -Tracker im Rucksack mitgetragen: Ergebnis laut Projektbericht:
„Mit täglich im Durchschnitt 11,0 Stunden pro Tag und Person für verschiedene Arbeiten am Schaf bzw. für die Schafe haben die beiden Hirt:innen einen langen Arbeitstag.“ Sowie: „Die GPS-Bewegungsdaten zeigen, dass der Hirte während seiner Arbeit gemittelt über die gesamte Saison pro Tag eine Distanz von 7,1 Kilometer und 1.289 Höhenmeter zurückgelegt hat.“
Zahlen dienen zur Argumentation
- 11 Stunden tägliche Arbeitszeit über mehr als drei Monate
- Arbeitsbeginn um 5 Uhr und Feierabend nach 21 Uhr
- 7 Tage die Woche
- 7,1 km und fast 1.300 Hm im hochalpinen Gelände bei jedem Sauwetter
Wenn dich das nicht abschreckt und du zusätzlich damit leben kannst, dass dir trotz deines 100-prozentigen Einsatzes Schafe verloren gehen werden, abstürzen, an Krankheiten eingehen, sich verletzen usw., dann hast du vielleicht das Zeug zum Hirten, zur Hirtin.
Was ich hier bisher nicht in Rechnung bringe, ist die latente bis manifeste Gefahr, die von Großraubtieren im Grund jederzeit ausgehen kann. Gäbe es diese Gefahr nicht, würden wir in Tirol und Österreich derlei Herdenschutzprojekte gar nicht erst starten.
Hirten-Romantik zerbricht ganz schnell an der knallharten Realität
Ich weiß, dass es viele gibt, die diese Projekte als teuren Unsinn ablehnen. Ich möchte mir darüber kein abschließendes Urteil anmaßen. Was sie allemal zeigen und mit Zahlen und Daten unterlegen, sind die enormen Anforderungen, die der Hirtenberuf stellt. Damit liefern sie zumindest Argumente all jenen gegenüber, die die Wolfsproblematik leichthin abtun, mit dem Verweis auf „mehr Hirten“.
Hirten und Hirtinnen sind aus einem ganz speziellen Holz geschnitzt. Jede Romantik, die sich in den Köpfen so mancher um den Hirtenberuf rankt, zerbricht ganz schnell an der knallharten Realität. Wenige wären überhaupt nur für den Beruf geeignet, egal, wie sehr „mehr von ihnen“ dort oben gebraucht würden. Das ist aus meiner Sicht ein Fazit aus den Projektberichten, das mit harten Zahlen untermauert werden kann.
Weitere Beiträge zum Thema Schafe, Behirtung und Wolf gibt’s hier:
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- Osterlamm, guter Hirte und böser Wolf
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