Literarische Almschmankerln: Die Wildheuerinnen im Ötztal | Tirol

… Um ein wenig Grünfutter für das Vieh zu haben, stiegen die Wildheuerinnen ins Ötztaler Gebirge. Mit Steigeisen wurden die Grasbüschel im Felsen aufgespürt, abgemäht und in Bündeln am Kopf hinuntergetragen. Der Gastbeitrag des Tiroler Historikers und Buchautors Georg Jäger aus dem Sellraintal schildert das einstige harte Leben von Frauen und Mädchen im Alpenraum.

Der Tiroler Autor, Bibliothekar und promovierte Geschichtsexperte Georg Jäger aus dem Sellraintal schreibt über den harten Arbeitsalltag der bäuerlichen Bevölkerung der Alpenregionen. Der Textauszug stammt aus seinem Buch „Frauen und Mädchen bei der Arbeit“ aus der Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraumes“, erschienen 2020 im Kral Verlag (S. 218 – 219). 


Erlebnisse eines Reisenden im Ötztal
Im Jahr 1866 veröffentlichte ein anonym gebliebener Reisender (mit den Initialen N. D.), der um 1860 als Student aus Deutschland das Ötztal besuchte, seine Reiseeindrücke in der in Leipzig erschienenen Zeitschrift „Die Gartenlaube“ (Jg. 1866, Heft 16, S. 251–253: Alpenbilder. Nr. 3: Die Wildheuer). Bei einer Ötztaler Bauernfamilie sei er „in’s Wildheu“ gestiegen und verbrachte dort mehrere Tage, wobei der fremde Mann einzelne dunkle Flecken an der Bergwand mit Greifvögeln verwechselte. Daraufhin antwortete ihm der anwesende Bergbauer: „Nein, sagte er lachend, das sind keine Adler, Herr, das sind erst die rechten Wildheuer, arme Leut’, die, weil sie keine Weidenschaft und keine Mahden haben, überall hinauf kraxeln, wo noch ein Grasfleckl ist, und es abmähen. Dort an der Wand sind woltern viel Vorsprüng’ in den Steinfelsen, da kann höchstens eine Gams hin; drum setzen sich die Wildheuer auf einen Prügel und lassen sich dann an einem Seil hinunter, bis so ein Fleckl abgemäht ist!“ (S. 253.)

Als er weiterwanderte, traf der junge Mann auf dem Saumpfad zum Timmelsjoch eine recht eigentümliche Gruppe: „Eine sonderbare Gestalt saß auf einem Stein an der Seite, eine schwere Heubürde in mächtigem Bündel auf dem Kopf; eine andere ähnliche stand vor ihr, die starken Füße in den schweren Schuhen mit den Steigeisen, die unförmlichen Beinkleider ließen auf Männer schließen, während Mieder und Kopfputz sie als Weiber kennzeichneten. Es war kein Zweifel, ich hatte ein paar Wildheuerinnen vor mir, ein paar starke Dirnen mit männlichen Zügen, zu denen die kurze Tabakspfeife vollkommen paßte, aus der sie unablässig dampften. Das Gras in den Bürden, der Rechen und die kurzstieligen Sensen, Hacker genannt, womit das Gras an den Hängen abgeheimst wird, vollendeten das Bild.

Es ist begreiflich, wenn ich die Begegnung benützen wollte, einen Blick in ein so romantisches Leben und Treiben zu thun, dem doch nach der äußern Erscheinung alle Romantik so vollständig zu fehlen schien; ich wollte mindestens wissen, was die Mädels zu einem so schweren, gefährlichen Gewerbe trieb. Ich hatte Knaster bei mir und bot ihnen für ihre Pfeifen, das machte sie zutraulich und sie mieden es nicht, sich in ein Gespräch mit mir einzulassen.

Schwestern aus dem Kaunertal erzählen
Es war nicht viel heraus zu holen aus den einfachen Gemüthern und ich wußte bald, wonach mich lüstete. Sie waren Schwestern und im Kaunserthal daheim, wo ihr Vater eine kleine Hütte hatte; der Vater aber war blind geworden und so war es ‚so viel hart‘, daß der ‚Koaser‘ den Bruder zum Militär genommen und nach Mantua geschickt hatte. Da hatten die Mädels sich vorgenommen, so viel zusammenzubringen, daß sie ihn die letzten Jahre seiner Dienstzeit loskaufen könnten, und waren ‚Wildheuerinnen‘ geworden.

Sie waren dabei gutes Muths und hofften gewiß, wenn das Heuen sich noch ein Jahr so günstig anlasse, ‚wie heuer und ferten‘ (im vorigen Jahr), so werde das Jockele frei, die Arbeit aber scheuten und fürchteten sie nicht, denn, sagten sie: ‚Es ischt gar so viel schien (schön) auf den Bergen.‘ Wir schieden als die besten Freunde.

Ein paar Jahre später führte mich ein neuer Ausflug in’s Kaunserthal und erinnerte mich an meine Begegnung mit den Wildheuerinnen. Es reizte mich zu erfahren, ob sie das Ziel ihrer Beharrlichkeit erreicht hatten oder etwa auch ‚nimmer heim kommen waren‘, wie der Zwieselsteiner sich ausgedrückt hatte. Das war nun zwar nicht der Fall, aber die schwere Mühe war doch umsonst gewesen; ehe die nöthige Summe beisammen war, war das Jockele zu Mantua gestorben, an der dortigen Sumpfluft oder am Heimweh, der süßesten aller Gewohnheiten.“ (S. 253.)

Junge Frauen sammelten Wildheu
Der Reisende bot also den Mädchen Tabak an. Dabei erfuhr der junge Mann, dass sie Schwestern waren. Die jungen Frauen sammelten deshalb Wildheu, weil der Vater erblindet und der eingezogene Bruder beim Militär in Mantua dienen musste. Als Wildheuerinnen wollten sie so viel Geld auf die Seite bringen, um ihren Bruder von den letzten Jahren seines Dienstes freizukaufen. Diese Geschichte endete aber ohne glücklichen Ausgang.

Den Tipp zum Buch „Frauen und Mädchen bei der Arbeit“ aus der Reihe „Vergessene Zeugen des Alpenraumes“ (Kral Verlag) hier nachlesen.

Quelle:
Autor Georg Jäger
Verlag Kral, Berndorf
Erschienen 2020
336 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 978-3-99024-888-1

Kontaktdaten:
Kral GmbH Buchhandlung
Hernsteiner Straße 3/1
2560 Berndorf
buch@kral-berndorf.at
www.kral-buch.at

Bild- und Textrechte: Kral Verlag / Georg Jäger

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